Mittlerweile ist es auch schon über 30 Jahre her, seit ich zusammen mit meinen Gymerkollegen mit dem HP 41C oder TI 59 Taschenrechner das Gymnasium unsicher gemacht habe. Wir waren ziemlich vernarrt in unsere programmierbaren Taschenrechner und hatten den Lehrern in Sachen Programmieren bereits einiges voraus. „Warum überhaupt noch Kopfrechnen?“, haben wir damals unseren Mathelehrer gefragt. Seine Begründung war, dass wir im Leben oft in Situationen geraten würden, in denen wir rechnen müssten, aber unseren Taschenrechner nicht dabei haben würden. Das hat uns damals noch eingeleuchtet. Der Taschenrechner war ziemlich gross und der Akku hielt auch nicht so lange durch. Auch die hartgesottensten Programmierer von uns hatten damals den Taschenrechner nicht ständig bei sich. In den letzten 30 Jahren hat sich viel verändert, der Computer kam auf und hat sich fest in unserem beruflichen Alltag verankert.
Die Revolution wird gerade fünf Jahre alt
Die wichtigsten und grundlegendsten Veränderungen haben sich aber erst in den letzten fünf Jahren vollzogen! In dieser sehr kurzen Zeit hat nun wahrhaftig eine leise, aber durchschlagende Revolution stattgefunden. Mit dem modernen Handy hat man heute nicht nur ständig ein Telefon bei sich, sondern auch verschiedene andere Werkzeuge: Der Taschenrechner ist selbstverständlich integriert und mit dem ständigen Zugang zum Internet gibt es die Möglichkeit, alle Fragen zu Fakten, Neuigkeiten und Gerüchten quasi sofort zu beantworten.
Mit dem Handy ist das Internet also immer in der Tasche griffbereit und praktisch das gesamte gesammelte Wissen der Menschheit ist immer und überall sofort abrufbereit.
Die Auswirkungen eines solchen permanenten Zugriffs auf Wissen auf unser Schulwesen können wir noch gar nicht abschätzen. Die heutigen Lehrpläne stammen noch aus einer Zeit, in der das Handy hauptsächlich zum Telefonieren eingesetzt worden ist. Die neuen Möglichkeiten sind damals noch nicht berücksichtigt worden.
Die Schule muss sich hinterfragen und verändern
Es stellt sich die Frage, wie viel Wissen denn heute noch wert ist. Ist es wichtig, dass wir in der Schule noch die Hauptorte der Kantone auswendig lernen? Oder soll eher der Umgang mit den neuen Medien vermittelt werden? Das sind Fragen, die sicher sehr kontrovers diskutiert werden können.
An den heutigen Berufsprüfungen für Technische Kaufleute sieht man zum Beispiel sehr gut, wie die Prüfungsgestaltung von der beruflichen Praxis abweicht. Die Prüfung muss ohne Unterlagen bestritten werden, was oft zu einem Auswendiglernen verleitet. Zudem müssen sämtliche Prüfungen von Hand geschrieben wer-den. Etwas, was im beruflichen Alltag von Technischen Kaufleuten wohl kaum realistisch ist. Kurz, die Art wie die Schulen prüfen, hinkt enorm hinter den Anforderungen des Berufsalltags hinterher.
Oft hat das auch damit zu tun, dass es technisch schwierig ist, praxisgerecht zu prüfen. Ein Beispiel: Die Gesetzestexte sind heute alle online. Die Studenten können also während des Unterrichts mit ihrem Handy oder mit ihrem Tablet auf diese Texte zugreifen. Aber für die Prüfungen müssen die Studenten Gesetzesbücher mitbringen, weil wir den Test nicht online durchführen können.
Die Studierenden haben ihr Verhalten bereits geändert
Das stösst bei den Studierenden auf Unverständnis. Und auch sonst hat sich das Verhalten der Studierenden im Unterricht dank den neuen Medien bereits stark verändert. Das Foto mit dem Handy löst Notizen von Hand nach und nach ab. Sich ein Buch anhand der ISBN-Nummer merken? Kein Problem, man macht ein Foto. Flipchart mit den Zeichnungen vom Lehrer abzeichnen? Das war ein-mal, heute machen die Studenten ein Foto davon, mit der direkten Verbindung zur Cloud, zuhause oder sonst wo. Ob das nachhaltig ist, weiss ich noch nicht. Studenten und Studentinnen mit einer guten Arbeits- und Lerntechnik werden die Unterlagen in der Cloud strukturieren und zusammenfassen, die anderen Studenten werden ihre Unterlagen verlieren. Das war aber bisher auch mit den alten Methoden, der losen Papiersammlung, bereits so.
Neue Arbeitsweise als Dozent
Aber ich merke auch, wie ich meine Arbeitsweise als Dozent auch anpasse. Gruppenarbeiten habe ich früher auf Folien schreiben lassen. Die Folien sind danach am Hellraumprojektor präsentiert worden.
Heute können die Gruppen ihre Arbeiten auf normales Papier schreiben und mir ein Foto davon zusenden. Ich habe dann dieses Foto innert weniger Sekunden auf meinem Tablet, von wo ich es am Beamer der ganzen Klasse zeigen und besprechen kann. Danach kopiere ich diese Unterlagen weiter auf den Lernserver und alle in der Klasse können auf diese Arbeiten zurückgreifen. Es ist mir klar, dass dieser massive Einsatz von neuen Medien bei den Dozenten nicht immer auf Gegenliebe stösst.
Der Fisch stinkt am Kopf zuerst
Für mich als Schulleiter ist die Offenheit gegen-über neuen Entwicklungen wichtig. Zumal ich als Vorsitzender der Ausbildungskommission des schweizerischen Telekomverbands asut und als Mitglied der Bildungskommission des Dachverbandes ICTswitzerland auch in den Schaltstellen für die schweizerische Bildungsstrategie im Bereich Informatik und Telekommunikation (ICT ) Einfluss nehme. Dadurch ist es für mich wichtig, neue Medien und neue Lernformen zu evaluieren und zu fördern. Wenn solche Entwicklungen nicht von den Schulleitungen gefördert werden, bleibt die Schule in der Vergangenheit stecken.
Mein nächstes Telefon ist eine Brille
Die Entwicklung geht noch weiter. Das Internet in der Tasche haben, ist eine gute Sache. Die Zukunft könnte aber so aussehen, dass ein Teil der Menschen das Internet ständig im Augenwinkel haben könnte.
Mit der Datenbrille von Google wird das Realität. Das erste Modell wird noch relativ unpraktisch sein. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass modernere, leistungsfähigere Versionen dieser Datenbrille in fünf Jahren nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken ist.
Das bedeutet dann, dass sehr viele Personen immer und überall online sein werden, ohne Griff in die Tasche, und zwar so, dass von aussen nicht klar ist, was gerade online gemacht wird. Für die Schule wird das eine neue Herausforderung sein: Was heisst das alles für den Unterricht? Welches Wissen sollen wir noch vermitteln? Welche Kompetenzen werden in zehn Jahren gefragt sein? Wenn alle ständig online sind und auf das gesammelte Wissen der Menschheit Zugriff haben, was bedeutet das längerfristig?
Das Schlüsselwort heisst Handlungskompetenz
Das Faktenwissen wird durch die technischen Hilfsmittel unwichtiger, aber die Fähigkeit in einer bestimmten Situation autonom zu handeln, wird dadurch in Zukunft noch wichtiger. Die Schule wird also davon abkommen müssen, Faktenwissen zu vermitteln und dafür neue Wege finden, um die berufsrelevante Handlungsorientierung vermehrt im Unterricht einfliessen zu lassen. Das Kompetenzenmanagement der TEKO ist dabei ein wichtiger und grosser Schritt in die richtige Richtung.